"Ich habe meinen Traumberuf erlernt!"

 

Astrid Kirschey ist Fotografin aus Leidenschaft.

Die Fotografin Astrid Kirschey hat ihr Handwerk von der Pike auf gelernt. Für die Kunst- und Musikszene in  Berlin erstellte sie Porträtfotos, vor allem Schwarz-Weiß-Arbeiten. Nach einer längeren Schaffenspause bis 2009 beschäftigt sie sich nun mit der digitalen Fotografie. Heute ist sie Inhaberin der Kunstgalerie „Galerie 26“  in Solingen und ist Mitglied im Künstlerverein GEDOK, der letztes Jahr auch mit ihren Werken zum ersten Mal bei der Wuppertaler WOGA ausstellte. Kirschey liebt großflächige Inszenierungen und ausdrucksstarke  Serien. Ihre klaren, fast technischen Arbeiten werden oft erst in ihrer Gesamtheit und als Installation zum  intensiven Kunstwerk.

Du hast kürzlich geheiratet?   

 

Astrid Kirschey: Ja. Ich bin einen ungewöhnlichen Weg gegangen, denn früher wollte ich nicht heiraten. Ich habe einen Sohn und war lange Zeit alleinerziehend. Jetzt, mit 52, fühle ich mich reif genug für die Ehe. Ich habe einen wundervollen Partner, mit dem ich seit elf Jahren zusammenlebe. Das passt!

 

Wo bist du geboren? 

 

In Wülfrath, aufgewachsen bin ich in Mettmann.

 

Jetzt hast du nach der Heirat den Namen „Kirschey“ angenommen. Ist es schwierig, den neuen Namen zu vermarkten? 

 

Das denke ich nicht, ich bin da ganz entspannt. Mir geht es nur um meine eigentliche Arbeit. Ein Teil meiner Kunst ist dadurch entstanden, dass ich in meinen Beruf zurückgegangen bin und dabei festgestellt habe, wie sehr sich der Umgang mit Fotografie verändert hat und wie stark das Bedürfnis der meisten Menschen ist, sich selber darzustellen, sich zu inszenieren … Das möchte ich nicht. Ich möchte mich nicht inszenieren. Es fängt bei Facebook an. Anfangs sagten Freunde und Kunden zu mir: „Da musst du rein!“ Aber als ich „drin“ war, habe ich festgestellt, dass ich in erster Linie meine Ideen und Fotos verschenke. Es tat mir nicht gut. 

 

Du hast ja den Beruf der Fotografin gelernt und dann eine Pause gemacht. Womit hast du dich in der Zwischenzeit beschäftigt? 

 

Ich habe in diversen Berufen gearbeitet. Als allein-erziehende Mutter war ich angestellt als Vertriebs- und Geschäftsführungsassistentin. Dann hat mich das Thema „Salutogenese“ fasziniert und ich habe Fernlehrgänge für die berufliche Fortbildung im Gesundheitsbereich entwickelt. Die Salutogenese befasst sich mit der Gesunderhaltung, sie schaut auf die Faktoren, die uns gesund erhalten statt auf die Dinge, die uns krank machen. 

 

Du warst ja auch lange Jahre in Berlin. 

 

Ja, ich habe viele Jahre in Berlin gelebt. 

 

Hast du dort auch als Fotografin gearbeitet? 

 

Ja. In Berlin habe ich vorwiegend Künstler fotografiert und auch für die Presse gearbeitet. Ich habe in den 80ern in Berlin gelebt. Das war eine gute Zeit. Es war nicht alles kommerziell, es war kreativ ... 

 

Da war Berlin noch ein bisschen anders als jetzt. 

 

Ja, absolut. 

 

Warum hast du Berlin wieder verlassen? Die Stadt ist doch bestimmt spannender als das Rheinland? 

 

Ich hatte mich verändert und die Stadt hatte sich verändert. Ich wollte nicht, dass mein Sohn in Berlin aufwächst und ich wollte für meine Mutter da sein, die im Rheinland lebte. Ich habe das nie bereut, im Gegenteil. Ich finde NRW sehr spannend! Alles war im Wandel ... Es gab Jahre in Berlin, da gab es so viele Baustellen wie Straßenschilder. Wenn ich heute nach Berlin fahre, bin ich glücklich dort zu sein. Aber als ich dort lebte, war es dort ruhiger, überschau-barer, Berlin war eine Insel – das gefiel mir viel besser. Da gab es noch still gelegte S-Bahn-Gelände für sonntägliche Spaziergänge und keinen Baumarkt hinter den Yorck-Brücken ... 

 

Nach dem Mauerfall bist du dann also wieder zurückgekommen? 

 

Vier Jahre später. Ich selbst bin ja im Neandertal aufgewachsen und ich wollte meinem Sohn die Chance geben, auch mit der Natur aufwachsen zu können. 


"Ich wollte immer fotografieren. Wenn ich es nicht getan habe, dann nur um anderweitig Geld zu verdienen."


Wann hast du dann gesagt, jetzt fotografiere ich wieder? 

 

Ich wollte immer fotografieren. Wenn ich es nicht getan habe, dann nur um anderweitig Geld zu verdienen. Vor sechs Jahren habe ich dann entschieden, meine Firma zu verkaufen, um künstlerisch arbeiten zu können. Das hat dann noch etwas gedauert. Ich habe mir gesagt: Jetzt bist du in dem Alter, in dem du entscheiden musst, ob du deine Träume in diesem Leben noch umsetzen möchtest oder nicht ... (lacht). Ich erinnerte mich an das, was ich als Jugendliche habe tun wollen – und das war es immer noch.  

 

Aber du betreibst jetzt nur noch künstlerische Fotografie? 

 

Ja, jetzt gibt es nur noch die künstlerische Fotografie. Ich habe alle Bereiche der Fotografie durch. Die Porträtfotografie war der Ursprung, ich liebe gute Porträts. Aber dafür gibt es heute keinen Markt mehr. Und das Künstlerische gehört zu mir. 

 

Seit wann kannst du von deiner Kunst leben? 

 

Das hat schon ein bisschen gedauert. Seit circa zwei Jahren kann ich von meiner Kunst leben. Nach dem Verkauf der Firma vor sechs Jahren hatte ich das Geld, um die Anfangsjahre zu überbrücken und das nötige Equipment zu kaufen. 

 

Was ist dir am wichtigsten in der Fotografie? 

 

Ich würde euch gern etwas zeigen. (Wir gehen eine Etage nach oben in einen offenen Atelier-Bereich mit hohem Dachgiebel. Dort hängen Fotografien und Malereien.)




Malst du auch? 

 

Ja, ich habe damit angefangen. Ich möchte Malerei, Fotografie und Installation miteinander verbinden. Hier oben sind gerade nur drei Exemplare aus meiner aktuellen Arbeit, einer Wanderausstellung. Die Serie heißt „Die Sittenwächter“. Und hier seht ihr die „Burka-Box“. (Es handelt sich um eine Installation mit einer Burka auf einem Metallgerüst, in die man sich hineinstellen kann.)

 

Sind Frauenthemen wichtig für dich? 

 

Sie sind wieder wichtig, ja. Das Burka-Thema sehe ich natürlich aus Frauensicht. Es hatten sich dafür muslimische

Frauen bei mir gemeldet, die ich nicht kannte, die aber meine Arbeit unterstützen wollten. Und bei der ersten Ausstellung mit diese Serie, im Kolkmannhaus in Wuppertal, waren zwei Besucherinnen aus Afghanistan sehr beeindruckt. Das Thema Burka löst schon viele Gefühle aus ... Die Idee ist, dass ihr wirklich einmal durchschaut ...  bitte ... (Wir begeben uns abwechselnd in die „Burka Box“.) 

 

Darunter bekommt man kaum Luft … und man hat ein sehr eingeschränktes Blickfeld. 

Schrecklich ...

 

Genau so ist das eben. Als Mitglied in der GEDOK (Gemeinschaft der Künstlerinnen und Kunstförderer) werden immer intern Themen für Ausstellungen ausgeschrieben. Man muss Mitglied in diesem Kunstverein sein, aber zusätzlich muss man sich dann auch nochmal dafür bewerben. Das ist genau das, was ich brauche. Man hat quasi von außen ein Thema und folglich auch eine Struktur und den Druck, als Projekt etwas daraus zu machen. 

 

Und wie kamst du an den Kunstverein GEDOK? 

 

Die GEDOK habe ich im Internet gefunden. Es war ein recht langer Weg bis zur Mitgliedschaft und ein für mich intensiver Bewerbungsprozess. Unter anderem stellen wir jährlich bei der WOGA in Wuppertal aus, ich habe erstmals 2015 teilgenommen. 


"Die WOGA war ein sehr positives Erlebnis und ich freue mich schon auf die Ausstellung in diesem Jahr."


Ist Wuppertal ein guter Standort für Ausstellungen?

 

Ja, ich finde schon. Ich mag Wuppertal als Stadt und als Ausstellungsort. Die WOGA war ein sehr positives Erlebnis und ich freue mich schon auf die Ausstellung in diesem Jahr. Das lag sowohl an dem schönen Raum, den wir als GEDOK WUPPERTAL Gruppe nutzen durften als auch an unserer Gruppe; wir hatten die Gelegenheit für gute Gespräche und ein herzliches Miteinander. Es kamen etwa 1200 Besucher allein zu uns. Allerdings wünschen wir uns als GEDOK ein bisschen mehr Unterstützung durch die Stadt und auch Fördermitgliedschaften sind wichtig für unsere Arbeit.   

 

Schöne große Räume hast du hier oben. Ist das eine Ateliergemeinschaft hier? 

 

Jeder hat sein eigenes Atelier, die Halle nutzen wir gemeinsam. In diesem Haus arbeiten wir zu viert. Hier in den Güterhallen in Solingen arbeite ich sehr gern. Es herrscht eine angenehme, entspannte und freundliche Atmosphäre. Zahlreiche Künstler und Handwerker arbeiten in 150 Metern Ateliers und es gibt viele Gastkünstler hier. Zwei Mal jährlich veranstalten wir große Events. In meinem Atelier arbeitet stundenweise auch ein Flüchtling aus Syrien. (Sie zeigt auf die Gemälde des Künstlers) 

 

Ist das dort Blut?  

 

Das ist Syrien … sagt doch viel … 

 

Wie ist dieser Kontakt zustande gekommen? 

 

Über die Flüchtlingshilfe Solingen, die Kontakt mit den Güterhallen aufgenommen hatte. Sie suchten Raum für zwei syrische Künstler. 






Bereust du es, dass du erst so spät wieder mit der Kunst und Fotografie angefangen hast? 

 

Nein, ich war ja vorher noch nicht so weit. Wo wäre ich, wenn ich keine schöpferische Pause gemacht hätte? Vielleicht hätte ich dann den Sprung von der analogen in die digitale Fotografie nicht geschafft. 

 

Zur Zeit arbeite ich an zwei großen Projekten. Seit drei Jahren erstelle ich Porträts ehemaliger Hüttenwerker der Henrichshütte in Hattingen. Die Ehemaligen sind heute zwischen 70 und 90 Jahre alt und haben die Schließungen und Arbeiterstreiks der 1980er Jahre miterlebt. Diese Menschen wollte ich kennen lernen, ihr Leben festhalten.  Und nächstes Jahr wird dann dort eine Dauerausstellung stattfinden, mit 100 lebensgroßen Porträts, die auf dem Außengelände aufgestellt werden. Aktuell bin ich noch mit der Bildbearbeitung beschäftigt. Parallel dazu werden die aufgezeichneten Interviews ausgewertet. 

 

100, das ist schone eine Menge. Wie kamst du auf die Idee? 

 

Ich hatte die Idee als ich das erste Mal über das Gelände der Henrichshütte spazierte. Damals fragte ich mich, wie viele der Ehemaligen noch leben würden, was sie heute tun und was sie über die Hütte würden erzählen können. Ich wollte sie auf dem Gelände sehen können.

 

Und wie kamst du an die vielen Leute heran? Gab es dafür ein Casting?

 

Eine Mitarbeiterin der Schaugießerei, die mittwochs für Besucher geöffnet ist, war sofort offen für meine Idee und stellte einen ersten Kontakt her. Später entschied sich der Förderverein Henrichshütte dazu, mein Projekt zu unterstützen. Ein Casting gab es nicht. Die Teilnehmer fanden wir über den Förderverein und über die Presse. Eine Wanderausstellung mit meinen Bildern von Hüttenwerkern aus Duisburg gab es auch 2015 schon. Unter anderem wurden sie auf der Akzente ausgestellt. Ich schätze die Hüttenwerker sehr, sie sind so authentisch.

 

Ja, sie wirken unheimlich authentisch. 

 

Zur Zeit hängen die Duisburger Bilder im Bezirksamt Rheinhausen. Danach kommen sie zurück in die Güterhallen.

 

Du hattest ein ähnliches Projekt, deine Bilderserie „Mutter mit Kind“ (Ausstellung „Die Göttin“). Wie kamst du da an die Models, die Mütter mit Babys? 

 

Wenn ich eine Idee habe, spreche ich sogar Menschen auf der Straße an, auch wenn ich sie nicht kenne. Für die Serie mit den jungen Müttern hatte ich mehrere Anzeigen in einem Wochenblatt geschaltet. Es konnten alle mitmachen, die sich bewarben. Insgesamt waren es zwanzig junge Mütter, für die Ausstellung habe ich dann zwölf großformatige Aufnahmen ausgewählt. Die Aufnahmen zu machen war sehr aufwändig, organisatorisch und in der Umsetzung. Meine persönliche Zielsetzung für die Porträtserie „Die Göttin“ war es, eine Langzeitwirkung zu erzielen, Bilder, die als zeitlos empfunden werden. Ich wollte damit ein bisschen den schnelllebigen Konsum durchbrechen. Daher die Idee mit der Kleidung aus anderen Jahrhunderten, Kostüme, die ich in der Oper in Dortmund auslieh. Ich wollte die Mütter in eine andere Zeit versetzen und Attribute aus der heutigen Zeit weglassen. Ich wollte herausfinden wie und ob es heute noch möglich ist, Bilder mit Langzeitwert zu erstellen. 

Ich kann nur in meinem eigenen Rhythmus arbeiten und nicht im Minutentakt liefern, wie das leider in der freien Wirtschaft heute üblich ist. Mein künstlerisches Ziel ist es, die Zeit anzuhalten. Ich wünsche mir Ausstellungen, in denen jeder Raum und Zeit vergessen kann. Auch die Präsentation meiner Arbeiten unterliegt einer Entwicklung. 

 

Hast du eine Lieblingsarbeit? 

 

Das wechselt. Momentan sind es „Die Sittenwächter“.  Größere Projekte, in denen Menschen interviewt werden und ich ihre Lebensgeschichten erfahre, bringen mich auf eine andere Art weiter und sind sehr bereichernd.

Die Ausstellungen „Die Göttin“ und die „Arbeiter-porträts“ gehören alle zu deinem Projekt „Generationenporträts“. 

 

Was genau hat dich zu diesem Überthema inspiriert?

 

Ich denke viel über die unterschiedlichen gesellschaftlichen Bedingungen einzelner Generationen und auch Personen nach. Als Frau gehört die Gleichberechtigung dazu. Ich kann all dies, was ich tue, nur tun, weil wir hier frei leben können und ein Höchstmaß an Selbstbestimmung erleben. Noch in der Generation meiner Mutter war ein solches Leben nahezu undenkbar ... und in der Generation meiner Großmutter unmöglich. Viele Menschen haben für unsere heutige Freiheit und unseren Wohlstand sehr hart gearbeitet und einige haben das politisch erkämpft. Deutschland hat aus den Lehren des Zweiten Weltkrieges gelernt. Es scheint jetzt die Zeit angebrochen zu sein, in der wir uns für den Erhalt unserer Rechte einsetzen müssen. 

 

Hast du von dir und deiner Familie selbst so ein Generationenporträt?

 

Nein, leider noch nicht. Ich möchte das noch nachholen.

 

Wie arbeitest du, strukturiert oder eher chaotisch? 

 

Ich bin beides. Es hat mich viel Mühe gekostet, mich mit der Technik zu befassen. Lieber plane und träume ich. Ich habe allerdings viele Seminare besucht und mich kontinuierlich weitergebildet – und tue es noch, weil ich sehr hohe Anforderungen an mich und an die Qualität meiner Arbeit und meiner Bilder stelle ... 

 

Was würdest du jungen Fotografen raten? Kann man Erfolg planen?

 

Das ist sehr schwer. Es gibt ein paar Dinge, die ich für mich erfahren habe: Mein Erfolg hat sich erst eingestellt als ich aufgehört habe mich zu verbiegen oder mich anzupassen. Sich selbst stärker zu inszenieren als man selbst zu sein, wie wir es aus den sozialen Medien kennen, kostet Kraft und Zeit und lenkt vom Wesentlichem ab.

 

Gibt es noch ein Ziel, eine Vision, die dich umtreibt? 

 

Ich tue, wovon ich immer geträumt habe und hoffe es noch lange tun zu können. Ja, vielleicht, da ist das eine große Ding: Ein riesengroßes Werk, das an Hausfassaden aufgehängt, in jeder Metropole der Welt gezeigt wird ... (lacht herzlich) #

 

 

Zur Person

Astrid Kirschey (geb. Heups) - Jahrgang 1964 - geboren  in Wülfrath - Ausgebildete Fotografin  - ein Sohn  -  arbeitet in  Solingen  - Mitglied der GEDOK - Inhaberin der „Galerie 26“ in den Güterhallen Solingen

 

www.astrid-kirschey.de


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