"Ich habe alles in meine Kunst investiert. "

Zahra Hassanabadi.

Wir besuchen Zahra Hassanabadi in Ihrem gemütlichen Wohnatelier in Wuppertal. Der Kaffeetisch ist gedeckt und wir sehen überall Kunst.

Skulpturen, Objekte und Fotografien.  Die Künstlerin arbeitet mit alltäglichen Materialien, die sie oft Jahre lang sammelt.

Dinge, wie Zahnstocher oder abgebrannte Teelichter, die andere achtlos wegwerfen, erwachen bei Ihr zu neuem Leben:
Als abstraktes Kunstwerk.

 

Wie bist Du zur Kunst gekommen?

Wie bin ich zur Kunst gekommen…. Soll ich wie alle erzählen, dass ich schon als Kind angefangen habe zu malen? (lacht) So war es. Aber jedes Kind malt. Und trotzdem wird nicht jeder zum Künstler. Auch als Jugendliche habe ich sehr viel gemalt. Im Alter von etwa 25 oder 26 Jahren habe ich eine Anzeige gefunden in der Zeitung, dass Jemand Fotografie-Kurse anbietet. Ich hatte damals eine alte Kamera von ZENIT und wollte damit irgendwas machen und habe Jemanden gesucht, der mir das Ganze beibringt. Aber davor war ich auch wegen meiner großen Ambition zu zeichnen und zu malen habe ich mit voller Energie fast parallel Kurse in Malerei gemacht. Es gab immer diese drei Dinge, die große Begeisterung in mir ausgelöst haben: Malerei, Zeichnung und Fotografie.

 

War es für Dich klar, dass Du Künstlerin wirst in Deinem späteren Leben, oder gab es andere Berufe, die Dich auch begeistert haben?

Nein, eigentlich nicht. Ich kann mich gar nicht an einen bestimmten Beruf erinnern, der mich begeistert hätte. Ich sah mich immer als Künstlerin. Die mit ihrer Kunst was macht und mit der Gesellschaft bzw. den Menschen kommuniziert und mit sich selbst.




Hast Du von Anfang an Förderer und Fans Deiner Kunst gehabt, die Dich und Deine Kunst gefördert haben? Oder musstest Du Dir diese hart erarbeiten? 

Also geistige Förderer hatte ich: Mein Meister im Bereich Fotografie und auch im Bereich Zeichnung haben großen Wert darauf gelegt, was ich gemacht habe, mich unterstützt, mir sehr gute Anweisungen gegeben. Auch meine Mutter hat mich unterstützt. Aber finanziell gab es keine Möglichkeit, nein. Man hat gemacht was man konnte. In der Zeit hatten wir im Land auch Krieg (ab 1980). Der Iran hatte überhaupt keinen Kontakt zur Außenwelt. Da haben wir einfach genommen und genutzt was möglich und vorhanden war. Z.B. in der Fotografie gab es keine s/w Filme mehr irgendwann...es gab nichts! Ich habe alles aufgekauft, was ich kriegen konnte. Auch altes Material, was es noch gab, wo die Produktion längst stillgelegt war. Auch mein Meister hatte noch Material, welches er uns zur Verfügung gestellt hat. Alles was nicht nötig war, haben wir weggelassen und in die Kunst investiert. Das war mir wichtig. Ich habe alles in meine Kunst investiert. Damals in der Fotografie war man ja auch auf das Material, was da war, angewiesen.

 

Bist Du aus dem Grund quasi „aus der Not heraus“ zur Objektkunst gekommen?

Nein das kam erst in Deutschland. Im Iran kannte ich so etwas wie abstrakte Objekte gar nicht. Das habe ich erst hier in Deutschland kennengelernt. Ich kannte zwar klassische Skulpturen, aber im Iran gab es auch keine Kunst-Installationen oder so etwas. Das fotografische Material, was ich damals brauchte, war auch sehr teuer. Trotzdem haben wir einfach alle anderen Bedürfnisse vernachlässigt und es lieber in die künstlerische Fotografie investiert. Ich war froh, dass ich auf meine Art und Weise arbeiten konnte. Das war auch ein großer Spaß!

 

Hast Du mit der Fotografie denn nur künstlerisch gearbeitet? Oder warst Du auch Dienstleister z.B. als Portrait-Fotografin?

Sehr gute Frage. Ich hatte damals Fotografie bei einem Meister gelernt, der der angewandten Fotografie sehr skeptisch gegenüber stand. Er hat immer gesagt, ein richtiger Künstler würde nie eine Gesellschaft fotografieren.

 

Fotografie als Dienstleistung war also tabu?

Das war tabu. Zuerst. Ich habe auch wirklich ca. 10 Jahre nur rein künstlerisch gearbeitet. Aber irgendwann, wie ich schon gesagt habe, es war Krieg. Es war sehr schwer Geld zu verdienen, vor allen Dingen als Frau. Im Iran war ein islamisches Regime. Durch den Krieg gab es auch viele Jobs gar nicht mehr. Frauen und Männer durften ja auch nicht normal miteinander kommunizieren. Veranstaltungen mussten auch getrennt sein. Durch die Trennung von Mann und Frau wurde der Job als Fotografin für mich als Job erst möglich.

Damals war es überhaupt nicht möglich freie Kunst zu kaufen. Ich wohnte in Schiraz. Wenn, dann konnte man vielleicht Malerei, in Teheran, in der Hauptstadt kaufen und verkaufen. Kunst kaufen bzw. zu verkaufen war nicht in großem Maße ein Thema. Ich dachte gar nicht daran, dass ich es je hätte verkaufen können. Ich habe zwar Preise für meine künstlerische Fotografie gewonnen, aber ich hatte auch keine Chance offiziell in eine Schule zu gehen, um Fotografie oder Malerei zu studieren. Ich habe es also privat gelernt und gemacht. Geld verdient habe ich mit meiner Foto-Werkstatt zu Hause. Ich hatte oft Frauen bei mir, die ich fotografiert habe. Ein Mann durfte z.B. auch keine Frauen privat ohne Kopftuch fotografieren. Es gab sofort Probleme. Selbst die Nachbarn hätten Dich sozusagen verraten können. Ich durfte offiziell auch gar nicht studieren. Du hattest also nicht so viele Möglichkeiten. Ich hatte jetzt auch keine Lust, jeden Job zu machen. Ich habe dann auch so Laborarbeiten gemacht. Aufträge von anderen Fotografen übernommen. Also auch Hochzeiten usw. Aber ich habe immer auf meine Art fotografiert. Für mich war es z.B. ein no-go, einen Blitz zu nutzen. Ich wollte immer mit vorhandenem Licht arbeiten oder Tageslicht. Und man musste auch so schnell arbeiten..es war sehr schwer.

 

Schnell arbeiten, warum?

Wenn man Dir einen Auftrag gegeben hat eine Gesellschaft zu fotografieren, musstest Du ja auch die Zeremonie festhalten. Es gab keinen Autofocus, es gab keine digitale Technik. Alles musste stimmen. Du konntest Dir nicht viele Fehler erlauben. Wenn also ein Film kaputt gegangen ist, warst Du verloren...(lacht). Von außen gesehen, war es ein sehr schicker Job, aber für mich war es enorm hart. Also im Prinzip doch angewandte Dienstleistung. Ja, klar. Somit konnte ich mich selbst versorgen. Aber 100 Prozent selbstständig ging auch wieder nicht.

 

Das hat ja dann auch nicht mehr viel mit Kunst zu tun, wenn man versucht, die Wünsche der Kunden zu erfüllen, oder?

Ja, ich habe immer versucht, meine Gestaltung einzubringen. Aber Du hattest nicht viele Möglichkeiten. Ich hatte nebenbei dann aber noch meine freien künstlerischen Arbeiten. Meine schwarz-weiß Fotografie.

 

Dann kamst Du nach Deutschland?

Ja, aber vorher ist Einiges passiert: Mein Meister im Bereich Zeichnung und Malerei ist ca. 1986 nach Deutschland geflüchtet. Ich wusste gar nicht, wo er ist. Er hatte uns damals sehr viel Freiraum gegeben, die eigene Kreativität zu entfalten. Kein anderer Meister war so gut wie er. Ich hatte damals Fotografieausstellungen und Preise gewonnen. Ich war immer dabei und habe Preise bekommen. Aber weil ich ständig Preise gewann, hat man mir irgendwann nahegelegt, mich nicht mehr zu bewerben (lacht). Mein fotografischer Meister, mein Ostad, hieß Hassan Dschenegar. Er sagte oft, dass er uns nicht alles beibringen kann, was er wusste, weil wir damals noch Anfänger waren.

 

War er auch freier Künstler?

Nein, er hat nur gelehrt. Auch viel im Bereich Entwicklung, Labor, Chemikalien. Wir hatten eine Dunkelkammer und ich habe viel für ihn assistiert. Aber er durfte nie allein mit einer Frau dort sein, es musste immer noch eine Frau dabei sein. In der Schah-Zeit hatte die Frau kaum eine Rolle in der Gesellschaft gespielt. Nach der Revolution wurde die Situation sogar noch schlimmer, aber durch die Notsituation im Krieg, mussten Frauen sich als Ersatz für ihre Männer in der Gesellschaft qualifizieren.

Ungefähr 10 Jahre danach habe ich entschieden, wieder mit Malerei und Zeichnung weiter zu machen. Aber es war eine private Ausbildung. Zwar mit Dozenten, aber sehr frei. Es war das beste, was ich damals in unserer Stadt kannte. Das war ein paar Jahre, bevor ich selbst nach Deutschland emigriert bin.

 

Wann genau bist Du denn dann nach Deutschland gekommen?

Ein paar Tage vor 2001. Es ist schon eine interessante Zeit gewesen. Als das neue Jahrtausend begann, begann auch ein neues Leben für mich. Ich war sehr neugierig, sehr erstaunt. Die Kommunikation von den Menschen...ganz anders, als ich es vorher kannte…Das hat bei mir sofort verschiedene Bilder in meinem Kopf installiert. Dieser Vergleich zwischen dem, was ich kannte und was neu war - immer wollte ich es bewerten. Es hat für viele Konflikte in mir gesorgt. Wenn man künstlerisch arbeitet, wird eben auch das direkt mit eingearbeitet. Ich habe die Menschen beobachtet, auf der Straße. Ich hatte den Eindruck, alle Menschen sind so einsam, so allein hier. Das war, was ich registriert habe. In der Bahn saßen immer alle allein auf einem 4er Sitz. Und ich hatte auch immer das Gefühl, ich kann keinen Kontakt aufnehmen, weil ich ein Gefühl der Ablehnung gefühlt habe und mir gedacht habe, oh, das wird nicht einfach sein. Ich muss dringend die Sprache lernen, aber ich kannte nur ein Wort: Wasser.

Nach und nach erst habe ich mich dann mit der Sprache auseinandergesetzt. Aber die Grammatik war für mich total langweilig. Ich habe die Sprache eher auf anderen Wegen gelernt, also irgendwie falsch gelernt…(lacht). Und ich hatte auch immer viel mehr Lust, meine Zeit in die Kunst zu investieren und nicht in das Lernen einer neuen Sprache. (lacht)

 

 

"Immer wenn ich etwas anderes gemacht habe als Kunst, hatte ich das Gefühl,

ich habe zu wenig Zeit für die Kunst. Immer.“

 

 

Welche Form von „artfremden“ Jobs hast Du denn gemacht, um Deinen Lebensunterhalt erst einmal zu sichern?

Im Iran hab ich sogar in einer Schneiderei gearbeitet. Büroarbeit, das habe ich zwei Jahr lange gemacht, aber nur weil ich da sehr viel Freiraum hatte. Ich war alleine im Büro. In Deutschland genauso. Hier habe ich anfangs in einer Küche in einem Hotel gearbeitet. Oder ich habe in einem Hallenbad bei der Stadt gearbeitet. Das war ganz angenehm und vielfältig als Job.

 

 

"Für mich war nur immer wichtig, dass ich meine freie Kunst komplett frei ausüben konnte und mein Leben finanzieren konnte."

 

 

Und wenn Du mal freie Zeit für Dich hattest, wie hast Du dann überlegt, Deine Kunst zu vermarkten?

Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe die Zeit immer nur genutzt, um etwas zu produzieren.

 

Hattest Du überhaupt Interesse daran Deine Arbeiten selbst zu vermarkten?

Nein, am liebsten würde ich es abgeben. Ich hasse Vermarktung. Man könnte sich natürlich auch bewerben für Ausstellungen, Stipendien usw.. Aber das ist eben auch problematisch. Das Ganze dann schriftlich festzuhalten und dieser ganze Bürokram hält Dich auch wieder von der eigentlichen Arbeit ab. Ich habe aber ja zum Glück meinen Mann (Anmerkung der Redaktion: Tom Horn, Bildhauer aus Wuppertal), der mir hilft, etwas zu formulieren. Er hat mir auch unheimlich im technischen Bereich beim Aufbau der Objekte oder bei Ausstellungen geholfen.

 

Du hattest doch z.B. 2019 eine Ausstellung in der Sparkasse Wuppertal. Wie ist es dazu gekommen?

Ich wurde angerufen von Peter Claessen einem Kurator der Sparkasse Wuppertal, der mich fragte, ob er mal einige Arbeiten sehen könnte. Sie kamen also zu mir in mein Atelier und haben sich meine Arbeiten angeschaut. Ich habe mich nie selbst beworben. Diese Begründung in schriftlicher Form abzugeben, das finde ich schwierig und deshalb lasse ich es. Aber trotzdem kamen die Leute von selbst auch immer auf mich zu.

 

Wahrscheinlich wurdest Du empfohlen?

Ich denke schon. Ich hatte ja auch schon einige Ausstellungen vorher und sicherlich müssen sie die Arbeiten von mir irgendwo anders gesehen haben, dass sie mich angerufen haben.

 

In Wuppertal ist es ja auch schwierig auszustellen. Es gibt kaum Ausstellungsmöglichkeiten und wenige Galerien.

Ja, das stimmt und die Galerien haben ja auch meist eine eigene, spezielle Ausrichtung. Was haben wir denn für Galerien zur Zeit. Epikur gab es ja mal. Oder die Kunststation. Oder Galerie Groelle. Ich war auch schon ein paarmal da. In der Galerie Kunstkomplex hatte ich mehrfach Gemeinschaftsausstellungen.

 

Okay, kommen wir zu unserer Rubrik "kurze Fragen, kurze Antworten":

 

Wie startest Du Deinen Tag?

Das kommt drauf an..

 

Also gehen wir mal von einem Tag aus, an dem Du keine artfremden Tätigkeiten vor Augen hast. (lacht) Ich stehe sehr früh auf. Ich liebe es, früh aufzustehen. Auch, wenn ich nichts vorhabe.

 

Was heisst früh?

Heute z.B. war es 4 Uhr. Manchmal stehe ich auf und...ich liebe diese Stille!

Ich habe das Gefühl die Welt gehört mir und es ist noch dunkel, ganz leise, kaum Geräusche. Das brauche ich zum Erholen, denn ich hasse Hektik und Eile. Es gab mal diesen Spruch „Für Eile habe ich keine Zeit!“ Dieses frühe Aufstehen gibt mir die Möglichkeit, langsam zu arbeiten. Ohne Stress.

 

 

„Ich habe das Bedürfnis, Dinge langsam zu gestalten.“

 

 

Deine Arbeiten haben ja auch schon fast etwas Meditatives, was die Herstellung angeht. Wenn ich da an die Kopfserie denke z.B. das braucht ja wahnsinnig viel Zeit und Muße und Ruhe. Das kann man nicht im Schnelldurchgang machen.

Ja, diese Arbeiten brauchen Zeit. Viele meiner Arbeiten bestehen ja auch aus Materialien, die nicht sehr häufig genutzt werden, die Zeit brauchen, um gesammelt zu werden. Diese Materialien müssen auch kennengelernt und untersucht werden, man muss schauen, „wie tickt“ ein Material, wie kann ich es verarbeiten. Da muss man manchmal ganz neue Ideen entwickeln. Man hat hier ja auch keine Routine. Du produzierst ja Unikate und nicht am laufenden Band. Du hast z.B. Materialien, für die Köpfe. Hier wollte ich verschiedene Materialien für die Oberflächen der Köpfe nutzen. Bei den Köpfen z.B. (zeigt auf Objekte) sollte keine Ähnlichkeit zu einer bestimmten Kategorie von Mensch zu sehen sein. Sie sollten abstrakt sein.

 

Also die Arbeit mit dem Material ist Dir wichtiger als die Form?

An erster Stelle sammele ich Material. Aber ich habe immer ein Thema. Z.B. ist „Konsum“ eines meiner Themen. Oder Identität. Z.B. die Deutschen werfen unheimlich viel weg. Hier in Deutschland oder in Europa hat man viel mehr Material, was einfach weggeworfen und nicht weiter genutzt wird. Ich finde manchmal dieses Material aber einfach interessant z.B. hier diese Büroklammern. Oder diese Dochte und die Halterung von den Kerzen bei Teelichtern. Diese Ummantelung und Halterungen habe ich gesammelt, dann geglättet und weiter verarbeitet.

 

 

„Ich möchte gern das Material mit einem Thema verbinden. Ich assoziiere mit den Köpfen, die ich hier damals gemacht habe z.B. diese Leere, diese unheimliche, kafkaeske Leere..“

 

 

 

Wo und wie arbeitest Du am liebsten?

Ich arbeite eigentlich überall wo es möglich ist. Am liebsten allein. Das ist wirklich so. Aber zur Not würde ich überall arbeiten. Es gab auch Zeiten, wo ich keinen eigenen Raum oder gar Atelier hatte. Da hatten wir einen Raum mit Sachen von 2 Personen gefüllt.

 

Du brauchst also kein Atelier zum arbeiten?

Also notfalls würde ich auch auf der Straße sitzen und an meinen Sachen arbeiten. Aber wenn ich es mir aussuchen kann, dann am liebsten im eigenen Atelier und allein (lacht). Damals im Krieg im Iran hatte ich kein eigenes Zimmer. Ich schlief mit meiner Mutter und meiner Schwester in einem Raum, in dem ich mir einen Teil abtrennte und dort meine Abzüge in einer Dunkelkammer herstellte….

 

 

„Wenn Du das Bedürfnis hast, etwas Künstlerisches machen zu müssen, sind die Umstände manchmal egal. Das Bedürfnis Kunst zu schaffen, ist wichtiger. Das kommt von innen.“

 

 

Hast Du schon einmal eine Schaffenskrise gehabt?

Ich kann mich nicht erinnern. Eher umgekehrt, dass ich zu Vieles hatte, was es zu produzieren oder umzusetzen galt. Es gab sicher Zeiten, wo ich weniger produziert habe, weil andere Dinge plötzlich ins Leben kamen, die mich davon abhielten. Aber ich habe es immer im Kopf und finde es nicht schlimm. Man kann sich auch Pausen gönnen, um sich zu sortieren. Ich bin froh, dass ich mir die Zeit gönne bei meinen künstlerischen Arbeiten.

 

Was oder wer treibt Dich an, Kunst zu schaffen?

Wenn ich manchmal eine tolle Ausstellung besuche, tolle Arbeiten sehe, dann bekomme ich wieder mehr Lust was zu machen. Oder Ausstellungen von Malern, die mir gut gefallen oder die Malerei von Matisse finde ich toll.

 

Dann bist Du inspiriert, aber wie kommst Du dann in den Flow, dass Du wirklich loslegst?

Wenn ich einige Zeit nichts gemacht habe, habe ich etwas Angst tatsächlich vor einer angefangenen Arbeit. Aber ich trickse mich selbst aus, in dem ich Dinge tue, die nebensächlich sind, die aber auch zum Werk gehören. Z.B. sortiere ich das Material, ein bisschen das, ein bisschen das…

 

Du näherst Dich damit sozusagen langsam an?

Ja, genau, oder ich koche erst mal was. Und dann mache ich mir passende Musik an oder informiere mich über ein Thema. Das hilft auch manchmal.

 

Was zerstört Deine Motivation umgehend?

Streit oder ein Konflikt. Verbale Auseinandersetzung saugt mir Energie ab.

 

Obwohl ja manche Künstler durch Konflikte erst dazu animiert werden, Kunst zu schaffen...

Nein, durch Konflikte werde ich eigentlich nicht animiert. Ich kann eher durch meine Kunst schwierige Situationen umgehen. Ich habe einmal einen sehr schlimmen Verlust, Trauerfall gehabt und habe mittels Kunst mich damit ablenken können. Das hat mir geholfen. Mir Ruhe gegeben, die Zeit rumzukriegen.

 

Du meinst also, dass jegliche Form der Kreativität oder Kunst auch Ausdruck ist, Dinge zu bewältigen?

Ja, das ist sicher auch so. Aber nicht nur. Man möchte der eigenen Kunst doch auch noch eine höhere Ebene geben. Es ist vielleicht ein angenehmer Nebeneffekt, dass es einem auch hilft. Kunst ist für mich auch manchmal wie ein Tempel. Da fühle ich mich geschützt.

 

 

„Diese Ideen die ein Künstler hat, für mich ist das so wie eine Art Kokon im Kopf.“

 

 

Es ist wie eine Phase auf dem Weg als Schmetterling den Kopf zu verlassen. Das ist zwar ein bisschen kitschig, aber es fühlt sich an wie Larven im Kopf. Sie sind in Deinem Kopf und brauchen diese Ruhephase und wenn eine Arbeit fertig ist, dann fühlst Du Dich eine Weile gut, dann kommen die Larven wieder und Du musst wieder produzieren. Wenn Dein Kopf aufhört, die Kokons zu produzieren - ich glaub dann ist es vorbei.

 

Was ist für Dich gute Kunst?

Ohje...das ist eine sehr schwierige Frage...

 

Okay, anders..Gibt es Kunst, die Du scheiße findest?

(Lacht) Über diese Frage habe ich mit Tom diskutiert. Also wenn ich Kunst scheiße finde, ist es für mich keine Kunst. Eine Art gewollte Kunst, ein Versuch Kunst zu machen, der missglückt ist. Aber wie willst Du das definieren. Es kann ja auch genau so gemeint sein.

 

Es liegt eben auch im Auge des Betrachters…

Ja, z.B. Kitsch. Jahrelang frage ich Jeden, was bedeutet Kitsch für Dich? Oder wenn Jemand sagt, dass eine Arbeit dekorativ ist, sagen manche, das wäre dann ja keine Kunst. Das finde ich komisch. Ich finde, es gibt wundervolle und dekorative Kunst. Matisse macht doch im Prinzip auch dekorative Kunst. Superschön.

 

Warum sollten die Menschen Deine Kunst kaufen?

Sollen sie gar nicht! (Lacht laut und herzlich). Sie müssen das wollen! Also, die sollen es schon mal gar nicht, aber es ist eine gute Entscheidung wenn sie es tun. (lacht)

 

Wie gehst Du mit Kritik an Deinem Werk um?

Eigentlich sehr gut. Ich würde sagen, dass ich besonders in Ausstellungen mit Leuten spreche, die meiner Arbeit kritisch gegenüber stehen. Kritik ist wichtig. Allein schon ausstellen bedeutet für mich, dass ich die Betrachter wichtig finde. Und gesehen werde. Ausstellen ist zum einen da, um zu verkaufen, aber auch, um darüber zu reden. Du möchtest gerne wissen, wie die Menschen Deine Arbeit sehen. Wenn Jemand Deine Kunst nur kauft, ohne etwas darüber zu sagen, kann das auch beleidigend sein.

 

Also Du versuchst schon die Meinung der Kunstinteressierten zu berücksichtigen?

Ja, sicher. Aber, wenn Deine Arbeit geboren wird, ist ja bereits alles hineingeflossen, was Dir wichtig ist, was Du gelernt hast, worüber Du gesprochen hast, was Du gelesen hast, was Du erfahren hast, was Dir wichtig ist. Die Arbeiten lügen nicht.

 

 

„Die Arbeit, das Werk bist Du.“

 

 

Hast Du auch Arbeiten, die Du auf keinen Fall ausstellen würdest?

Ja, es ist eine etwas erotische Arbeit, die ich mal verschenkt habe. Eine sehr persönliche Arbeit. Die würde ich dann jetzt nicht ausstellen. Sie steht hier bei uns zu Hause, jeder der mich besucht, kann sie sehen. Aber ausstellen würde ich Sie jetzt nicht.

 

Was war der beste Ratschlag, den Du zu Deiner Arbeit je erhalten hast?

Meistens dann, wenn mein Mann Tom etwas zu meinen Arbeiten sagt. Er sagt zwar zu wenig (lacht), man braucht viel Mühe, seine Meinung zu erfahren, aber, wenn er dann dazu was sagt, ist es mir wichtig. Er sagt dann z.B. „Mach nicht zuviel“. Denn manchmal, wenn ich diesen Elan habe, mache ich mir doppelte Arbeit, weil ich mit zu viel Vehemenz da hinein gehe. Ohne vorher groß zu planen oder Skizzen zu machen oder so etwas.

 

 

„Ich möchte immer Kunst machen. Bis ich nicht mehr kann.“

 

 

 

Was ist Dein größter Traum? Oder welche Ziele möchtest Du mit Deiner Kunst noch erreichen?

Ich würde gerne durch das Verkaufen meiner freien Arbeiten leben können. Kunst, die ich fertiggestellt habe. Ohne artfremde Jobs. Obwohl diese artfremden Jobs mich davor bewahren, mich dem Geschmack eines Galeristen unterordnen zu müssen. Der Kunstmarkt ist ein Markt geworden, wie Schuhe. Ich möchte nicht, was ich als Kunst in die Welt werfe, dass das Andere entscheiden. Das interessiert mich nicht. Ich möchte selber entscheiden, ob mein Werk gut oder schlecht ist. Meine Prinzipien sollen nicht zerstört werden. Ich sehe ja auch viele Künstler, die dieses Prinzip vom Kunstmarkt mitmachen oder für eine Galerie tätig sind, wie sie sich damit manchmal von sich selbst entfernen. Ich möchte nicht, dass meine Werte dadurch zerstört werden. Dadurch bezahle ich meinen Preis anders. Wenn es sein muss, eben mit artfremden Jobs.

 

Hier noch unsere Rubrik:

„Kurze Fragen, kurze Antworten.“

 

Dein aktuelles Lieblingsbuch?

„Die Verwandlung“ von Kafka. Ich habe es nochmals gelesen gerade.

 

Dein Mantra oder Motto ist?

Man muss für jede Situation einen Preis bezahlen. Aber der Preis muss nachvollziehbar sein. Ich bezahle und verzichte für meine Kunst. Aber ich würde nie auf meine künstlerische Freiheit verzichten.

 

Deine nächste Reise geht am liebsten wohin?

Nach Portugal.

 

Deine Vorbilder?

Ich habe eigentlich von vielen Künstlern einzelne Eigenschaften die ich interessant finde... Bei Van Gogh z.B. seine Authentizität. Bei Picasso seine Vielfältigkeit in seiner Arbeit. Oder das Kämpferische bei der Dichterin aus dem Iran, Foroogh, sie starb mit 33 Jahren an einem Unfall. Sie war sehr progressiv, hat sich mit der gesamten Gesellschaft, vor allen Dingen der Männlichen, angelegt. Sehr offen über ihre Weiblichkeit und Wünsche gesprochen. Ein sehr starker Charakter.

 

Was hast Du immer im Kühlschrank?

Milch für Latte Macchiato.

 

Was ist für Dich Luxus?

Immateriell gesehen: Seine eigene Lebensform so führen zu dürfen, wie man es selbst will. Mit positiver Energie und Motivation für meine Arbeit, die Kunst. Eine andere Form von Luxus oder als eine Bereicherung in meinem Leben sehe ich auch meine verschiedenen Kulturen an. Ich bin türkisch-stämmig, im Iran geboren und aufgewachsen und lebe jetzt seit über 20 Jahren in Deutschland. Ich habe in diesen Kulturen jeweils sehr viel Erfahrung gesammelt. Drei Nationalitäten. Das ist für mich auch ein Luxus. Denn das fließt auch mit in meine Arbeit ein.

 

Deine Kunst ist…

...ist authentisch.

 

Das Leben ist zu kurz um…

...um sich selbst zu ernst nehmen (lacht).

 

Welche Interviewfrage wolltest Du schon immer einmal beantworten?

Es gibt eine Frage, die ich mir oft selbst stelle:

Die Gesellschaft, die soviel von der Kunst der Künstler profitieren, warum stehen so viele Künstler immer so weit hinten in der Rangordnung? Warum müssen Künstler, die Freigeister der Gesellschaft, selbst oftmals (für eine Galerie z.B.) knechten, um zu überleben? Der Wert eines Künstlers steht nicht an erster Stelle.

 

Die wenigsten Künstler sind leider zu Lebzeiten wirklich frei, oder kommen erst posthum zu Ruhm und Reichtum.

Deshalb sucht man sich oft Wege, okay, vielleicht schaffe ich zu Lebzeiten nicht, in die erste Liga zu kommen. Aber ich habe ein winziges Territorium, um frei sein zu können in meinem Tun und Wirken, und mache lieber artfremde Jobs, als einen Galeristen zu suchen und unfrei zu werden.

 

Das Schöne sind ja die neuen Kunstportale, soziale Spendenplattformen wie „Patreon.com“ oder Steadyhq.de, die gerade seit einigen Jahren aufkommen, auf denen sich Künstler von ihrer eigenen „Fanbase“ auch finanziell unterstützen lassen können. Menschen, die nicht im Gegenzug Einfluss auf die geistige Arbeit des Künstlers einfordern. Sie nehmen Dich einfach genauso wie Du bist. Und freuen sich an Deiner Entwicklung.

Das finde ich ist eine sehr schöne Alternative. Damit muss ich mich auch mal mehr beschäftigen. Es ist für mich auch ein sehr schöner Weg, um authentisch zu bleiben und auch um mit den Menschen zu kommunizieren. #





 

Zur Person

Zahra Hassanabadi  - Jahrgang 1964 -  geboren in Schiraz/Iran 

Freie Künstlerin -  lebt und arbeitet in Wuppertal

 

www.zahra.hassanabadi.net


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